Babo staunt
Barbara Saladin

Einmal legte Babo in einem kleinen Ort eine Pause ein. Sie war etwas

müde und auf einer Bank eingenickt. Da erwachte sie wegen den

Leuten, die an ihr vorbeiliefen.

Der Kleine kommt!, riefen sie sich zu.

Aus allen Ecken und Winkeln strömten sie zum Zentrum.

Babo staunte.

Den musst du gesehen haben! Der ist einfach grossartig!

Sie stand auf und liess sich von dem Strom mitreissen.

Kurz darauf befand sie sich auf einem grossen Platz, wo eine Bühne

und davor viele Bankreihen aufgestellt waren.

Sie setzte sich ziemlich nach vorne, denn sie dachte, dass sie weiter

hinten ganz sicher nichts sehen würde.

Die Menschen neben ihr lachten und scherzten. Sie waren bei bester

Stimmung.

Und so nahm sie an, dass der Kleine sehr lustig sein musste.

Nach einiger Zeit erschien ein Mann auf der Bühne, hob die Hand und

stellte sich hinters Mikrofon:

Meine Damen und Herren! Ich habe die seltene Gelegenheit, Ihnen den

grössten kleinen Mann anzukündigen! Er wird Sie mit seinem

akrobatischen Können begeistern! Denn das, was er zeigt, ist einmalig

auf dieser Welt!

Er machte eine bewegende Pause.

Und noch etwas! Er nennt sich "Der Kleine", und eben hinter der Bühne

wollte ich seine Kunst loben... doch was denken Sie, was er getan hat?

Er hat nur abgewinkt und dann zu mir gesagt:

Das hab ich alles meinem Kleinsein zu verdanken! Wenn ich am

Anfang nicht so klein gewesen wäre, wäre ich nie darauf gekommen,

Akrobat zu werden. Also... wenn ich auf etwas stolz bin, dann auf mein

Kleineklein!

Ja, meine Damen und Herren, vergessen Sie bitte nicht, nach diesem

einmaligen Erlebnis in die aufgestellten Körbe Ihren Dank an den

Kleinen in Münzen oder Scheinen auszudrücken! Danke... und nun

begrüssen Sie mit mir "Den Kleinen"!

Er drehte sich um, und da sprang er auf die Bühne.

Giftgrüne Hosen und ein knallrotes Hemd. Er machte ein Salto und

verneigte sich. Die Leute klatschten laut.

Dann rollte ein grün-roter Gummiball langsam über die Bühne, hielt vor

dem Abgrund, um dann quietschend in die Höhe zu springen.

Springen, rollen, hüpfen, sich überschlagen... Babo kam gar nicht dazu,

darüber nachzudenken. Denn was dieser kleine-grosse Mann da zeigte,

war einfach grandios.

Nur kurz streifte sie der Gedanke:

Wenn man so klein ist, dann zieht man nicht so knallige Farben an. Das

hatte man früher immer gesagt:

Wenn man klein ist, muss man gedeckte, unauffällige Kleider tragen...

Doch all das wurde ihr mit Schwung und Begeisterung so aus dem

Gedächtnis gestrichen, dass ihr Hören und Sehen verging.

Dazwischen stockte er manchmal, rollte ganz vorsichtig, hüpfte ein paar

Mal sanft, als wolle er sagen:

Ich kann auch zart und bedächtig sein! Um dann umso rasanter wieder

loszulegen.

Der Ball hüpfte in die Höhe, drehte sich in der Luft, überschlug sich und

landete sanft auf dem Boden.

Die Leute tobten, riefen:

Du bist der Grösste! Und erhoben sich von den Plätzen.

Dann war es auf einmal zu Ende. Plötzlich war die Bühne leer.

Die Leute schrien und stampften. Doch er kam nicht mehr.

Da gingen sie lachend und schwatzend weg.

Wer daran dachte, warf Geld in den Korb.

Babo blieb sitzen.

Sie war ganz erfüllt von dem Erlebnis und von dem, was dieser

Kleinegross geboten hatte.

Und er ist stolz, dass er klein ist!

Babo fuhr sich durch die Haare, die struppig vom Kopf standen.

Ich schäme mich immer für meine Haare, die in allen Richtungen

wachsen...

Meistens verdeckte sie sie mit einem Hut oder einer Mütze. Und auch

die abstehenden Ohren...

Babo strich mit der Hand über ein Ohr.

Wie eine Muschel am Meer... Sie hört alles und behält es für sich, wie

das Rauschen des Meeres... Es ist eigentlich schön, wenn man Ohren

wie Muscheln hat, dachte sie. Und die Haare sind freudig aufgerichtet

und hängen nicht so herunter wie eine Trauerweide... eigentlich...

Jetzt musste sie grinsen... kann ich stolz auf meine Haare sein! Wer hat

schon Haare wie Antennen?